[2004-07-23] 
 

LOTTES BITTE


......sie sang ganz für sich allein und niemand sollte es hören -  der Faden der Erinnerung lief dünn über ihre Haut -- es kitzelt, dachte sie und versuchte, den Weg des Fadens zu verfolgen – entlang der gewundenen Spur – manchmal versteckte er sich in den Hautfalten ihres Alters – manchmal blitzte er keck aus der Tiefe des Vergessens und sie musste lächeln – du entkommst mir nicht, dachte sie, auch wenn du dich dünn machst – du musst gefüttert werden, ich werde dich füttern, ich gebe dir etwas zu essen, ich mäste dich zu einem goldenen Kalb, zu meinem Kalb...
Sie schaute sich um und suchte die Gabel und das Messer und den Löffel - ich kann dich doch nicht füttern ohne ein Besteck - und einen Teller brauche ich - ich bringe dir einen Teller dar, meine Gabe als Teller, einen Teller mit Luft, dachte sie und blinzelte verwirrt – eine Luft für mein Kalb? Für mein Kalb aus Luft? Mein Luftkalb, oh ja, mein schönes, mein goldenes – sie warf ihm einen neckischen Kuss entgegen - einen Luftkuss für mein Luftkalb - du bist zu dünn, mein Kälbchen, du bist so dünn, so winzig, ich kann dich gar nicht sehen - Ich brauche meine Lupe, meine Brille, ich muss mein Kälbchen größer machen, vergrößern, gebt mir meine Gläser wieder, mein Licht, den Zeichenstift meiner Augen - die Erinnerung versteckt sich im Sand meiner Augen - er ist schuld daran, dass ich sie nicht mehr hören kann – wenn ich weine, schwemmt es den Sand aus meinen Augen. ...
....helft mir zu weinen